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Arbeitgebende sind laut BAG allgemein zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 19. September 2022 ein Grundsatzurteil zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung gefällt. Bei europarechtskonformer Auslegung ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz eine Pflicht für den Arbeitgeber zur allgemeinen Arbeitszeiterfassung. Die Anforderungen des EuGH aus seinem Urteil vom 14. Mai 2019 gelten, als ob es eine entsprechende gesetzliche Regelung gäbe. Wie diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung von der Politik ausgestaltet wird, bleibt noch abzuwarten.

Die Arbeitszeiterfassung ist häufig ein Reibungspunkt zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) wollte nun ein Betriebsrat erreichen, dass im Unternehmen ein Arbeitszeiterfassungssystem eingeführt wird. Genau genommen wollte der Betriebsrat feststellen lassen, er hätte das Initiativrecht, ein Arbeitszeiterfassungssystem im Betrieb einzuführen.

Kein Initiativrecht für den Betriebsrat

Das BAG in Erfurt hat nun entschieden: der Betriebsrat hat kein Initiativrecht für die Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung. Denn dieses Initiativrecht würde auf dem Recht auf Mitbestimmung nach § 87 BetrVG beruhen. Das Mitbestimmungsrecht besteht nach § 87 Abs. 1 BetrVG jedoch nur, soweit der Sachverhalt nicht schon gesetzlich geregelt ist.

     » Das BAG in Erfurt hat nun entschieden: der Betriebsrat hat kein Initiativrecht für die Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung.«

Bislang gab es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über eine allgemeine Arbeitszeiterfassung. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bspw. sah in § 16 Abs. 2 ArbZG vor, dass Arbeitszeiten aufzuzeichnen sind, die über 8 Stunden am Tag hinausgehen. Das BAG hat nun in seinem Urteil festgestellt, dass nicht das ArbZG, aber das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) schon eine allgemeine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung enthält. So besteht mit § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG nach BAG-Auffassung schon jetzt eine Pflicht für den Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung.

 

EU-Konforme Auslegung

Im Wortlaut des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG findet sich keinerlei Andeutung zur Erfassung der Arbeitszeit. Es geht allgemein darum, dass der Arbeitgeber eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer anstreben muss.

Das BAG legt diese Vorschrift europakonform aus und berücksichtigt dabei eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2019. Am 14. Mai 2019 hatte der EuGH festgestellt, dass die Mitgliedstaaten der Union ihre Unternehmen zur Einführung eines Zeiterfassungssystems verpflichten müssen. Das Zeiterfassungssystem muss eine objektive, verlässliche und leicht zugängliche Messung von den geleisteten Arbeitszeiten der Arbeitnehmer gewährleisten.

Das Entscheidende an diesem EuGH-Urteil ist, dass der EuGH die europäische Arbeitszeitrichtlinie aus dem Jahre 2003 einfach auslegte und so auf die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit kam. Damit war die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung schon immer durch diese Richtlinie, die die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen will, vorgegeben. Jedoch ist der Gesetzgeber in Deutschland diesen Vorgaben aus Luxemburg bislang nicht nachgekommen und hat noch keine Umsetzung geschaffen.

 

Ein Paukenschlag der keiner ist

Da die Umsetzungsfristen der europäischen Arbeitszeitrichtlinie längst abgelaufen waren, galt diese Entscheidung des EuGH unmittelbar in Deutschland. Arbeitgebernahe Juristen sprechen beim BAG-Urteil von einem „Paukenschlag“. Dabei war im Grunde klar, dass das EuGH-Urteil aus 2019 unmittelbar in Deutschland wirkt, weil die europäische Arbeitszeitrichtlinie (in der Auslegung des EuGH) durch Ablauf der Umsetzungsfristen unmittelbar in Deutschland gilt.

 

     »Arbeitgebernahe Juristen sprechen beim BAG-Urteil von einem „Paukenschlag“.«

Das BAG übernimmt daher die Entscheidung des EuGH wie eine gesetzliche Regelung. Nach unionsrechtskonformer Auslegung ergibt sich nun aber aus dem ArbSchG eine solche gesetzliche Regelung. Das BAG hat im Grunde also nur die Art und Weise klargestellt, wie der „Paukenschlag“ des EuGH aus Mai 2019 in Deutschland wirkt, eben durch Vorrang des Europarechts und nicht durch weite Auslegung der deutschen Vorschriften.

 

Ein Pyrrhussieg für den Arbeitgeber

Die Niederlage des Betriebsrats vor Gericht ist ein Pyrrhussieg für die Arbeitgeberseite. Zwar wurde festgestellt, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zu Einführung des Zeiterfassungssystem zukommt. Jedoch nur zu dem Preis der richterlichen Feststellung, dass der Arbeitgeber zu der Einführung schon längst gesetzlich verpflichtet ist.

Im Gegensatz zu einem möglichen Initiativrecht des Betriebsrats, welches erst im Einzelfall hätte angewendet werden müssen, trifft dieser Ausgang des Verfahrens nun jeden Arbeitgeber in Deutschland. Hiernach ist der Arbeitgeber zur Zeiterfassung aller Arbeitszeit verpflichtet, entsprechend den Grundsätzen im Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019.

 

Der Gesetzgeber ist gefordert

Die konkrete Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung ist in vielem noch offen. Fest steht nur, sie muss sich an dem Urteil des EuGH vom 14. Mai 2019 orientieren. Mit dieser Aufgabe ist jetzt der deutsche Gesetzgeber betraut. Nach dem EuGH ist die Festlegung der Form der Arbeitszeiterfassung allein Sache des Landesgesetzgebers. Auch kann der deutsche Gesetzgeber weitergehende Regelungen vorsehen. Diese können über die Entscheidung des EuGH hinausgehen oder besondere Detailregelungen für einzelne Branchen vorsehen. Bislang aber hat die Politik dazu noch keine genauen Pläne vorgelegt. Bis zu einer solchen Regelung müssen die Arbeitgeber und die Arbeitsgerichte die Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 wie eine Ergänzung zu § 3 ArbSchG anwenden.

 

 
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